Wie blicken wir auf Biografien von Täter*innen und was hat das mit uns zu tun? Von Sandra Franz.
Frauen nahmen eine zentrale Rolle im nationalsozialistischen Plan ein, eine “arische Volksgemeinschaft” zu schaffen. Sie wurden für ihren Aktivismus innerhalb der politischen Bewegung gepriesen und vor allem für ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen. Aus Sicht der Nationalsozialist*innen war eine größere, “rassisch reine” Bevölkerung notwendig, um Deutschlands militärische Stärke zu sichern und um die Bevölkerungsmasse für die Besiedelung des “Lebensraum im Osten” zu haben. Die Propaganda sollte “rassisch reine” Frauen dazu ermutigen, so viele Kinder wie biologisch möglich zu gebären. Der Staat verschaffte Anreize durch günstige Ehedarlehen und Steuervergünstigungen. Kinderreiche Familien wurden öffentlich mit Orden, wie sie sonst nur aus dem Militär bekannt waren, geehrt. Für Abtreibungen wurden drastische Strafen erlassen. Die NS-Frauenschaft versuchte die weibliche Bevölkerung dazu zu ermutigen, sich auf ihre Rolle als Frau und Mutter zu konzentrieren. Mädchen wurde von klein auf beigebracht, ihre gesellschaftlich bestimmte Rolle anzunehmen: Zuhause, in der Schule, im Bund Deutscher Mädel.
Aber – ab 1939 machte es der Krieg notwendig, Frauen dazu zu ermutigen, die Rolle von Männern zu übernehmen, da diese an der Front waren. Ein Großteil dieser Arbeit wurde mit “Fremdarbeiter*innen” abgedeckt, was wir heute als Zwangsarbeiter*innen als Teil der NS-Verbrechen anerkennen. Trotzdem war es unabdingbar – Frauen mussten außer Haus arbeiten. Selbst im Militär – insgesamt waren 500.000 Frauen in der Wehrmacht als Hilfskräfte tätig. Ab 1939 mussten alle ledigen Frauen in der kriegswichtigen Industrie arbeiten. Auch hatten insgesamt 3.700 Frauen Aufsichtspositionen in Konzentrationslagern inne. Hinzu kamen Frauen, die als Krankenschwestern in den sogenannten “Euthanasie-Programmen” tätig waren oder als Sekretärinnen alle wichtigen Dokumente tippten als auch Frauen in offenkundigen Entscheidungspositionen.
Drei Beispiele
Kinder, Küche und Partei – die folgenden drei Biografien, gingen weit über dieses Modell hinaus und wichen eigentlich auch grundlegend von diesem Ideal ab. Geschieden und alleinerziehend, gar nicht erst verheiratet – alles dabei. Es sind moderne Lebensentwürfe – nüchtern und emotionslos betrachtet.
Bekannt ist zum Beispiel Hermine Braunsteiner, von Häftlingen „Die Stute“ genannt, da sie mit ihren eisenbesetzten Stiefeln nach den Gefangenen trat. Konfrontiert mit einem Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten, bewirbt sich die knapp Zwanzigjährige Braunsteiner auf Grund von besserer Bezahlung und Arbeitsbedingungen als Aufseherin im Konzentrationslager Ravensbrück. Ihr gelingt innerhalb des Systems ein rascher Aufstieg. Sie wird letztendlich ins KZ Majdanek wechseln, wo sie bis zur Stellvertreterin der Oberaufseherin befördert wird. Erst 1975 wird sie wegen gemeinschaftlichen Mords in 1.181 Fällen und Beihilfe zum Mord in 705 Fällen vor Gericht gestellt. Braunsteiner schiebt im Prozess ihr Handeln auf ihren damaligen Mangel an Lebenserfahrung und behauptet, nur „ein kleines Rad im Getriebe“ gewesen zu sein. Letztendlich wird Sie trotzdem zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt.
Oder Nanna Conti, in der Zeit des Nationalsozialismus war sie die Leiterin der sogenannten Reichshebammenschaft. Als „Mutter für die Hebammen“ nutzte sie ihre Rolle im Sinne der Rassenideologie als „einsatzbereite Kämpferin für den Nationalsozialismus“. Sie gehörte nicht zu denjenigen Frauen, die unmittelbar als
Täterinnen sichtbar wurden. Sie machte sich für ein Hebammengesetz stark, welches den Berufsstand der Hebammen in einem nie gekannten Ausmaß schützte und trat gleichzeitig für den Ausschluss unerwünschter Hebammen ein. Hebammen fungierten als Spitzel in den Familien, die sie bei Geburten betreuten. Sie waren u.a. verpflichtet, Geburten von Kindern zu melden, die nicht den “rassehygienischen” Vorstellungen entsprachen und wurden damit zu Beihelferinnen bei der Ermordung dieser Kinder. Auch bei Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen waren Hebammen involviert. Die noch lange nach Ende des Nazi-Regimes anhaltende positive Bewertung von Nanna Conti zeigt , wie schwer die Beurteilung der Rolle der Frau in der NS-Gesellschaft und die Definition als „Täterin“ häufig fällt.
Ein weiteres Beispiel ist Herta Oberheuser. Sie tritt 1937 der NSDAP und später auch dem NS-Ärztebund bei. Als ihre Familie in finanzielle Schwierigkeiten gerät, fällt Oberheuser die Rolle zu, die Familie zu unterstützen. Im Dezember 1940 erhielt sie ein gut bezahltes Angebot: In einer medizinischen Fachzeitschrift war eine Stelle als
Lagerärztin in einem „Frauen-Umschulungslager in der Nähe von Berlin“ ausgeschrieben. Oberheuser bewarb sich und erhielt die Stelle. Dieses „Frauen-Umschulungslager“ kennen sie vom Namen her – es war das Konzentrationslager Ravensbrück. Ab 1942 war Herta Oberheuser dort massiv an medizinischen Versuchen an KZ-Insassen beteiligt, die meist zu deren Tod führten. Im August 1947 wird die Ärztin vom amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Das Strafmaß wird jedoch nach wenigen Jahren
reduziert und Oberheuser arbeitet nach ihrer Enthaftung wieder als praktische Ärztin, bis sie von einer Überlebenden erkannt wird und ihr später die Zulassung entzogen wird.
Wie wir damit umgehen (könnten)
Drei Beispiele, drei Biografien von Frauen, alle drei bestrebt, Karriere zu machen und sich etwas Eigenes aufzubauen – sind sie mehr zu verurteilen, unmenschlicher als andere Täter? Über “die weiblichen Monster” zu sprechen, die eine angebliche Ausnahme bilden, führt uns nicht weiter, es spielt im Grunde dem konservativen NS-Frauenbild in die Hände. Frauen suchten auch in der Zeit des Nationalsozialismus nach Mitteln, sich zu behaupten, eigene Karrierewege einzuschlagen und sind dabei genauso verwerflich und skrupellos vorgegangen wie Männer.
Diese Frauen als abnormale und widernatürliche Einzelbeispiele zu betrachten hält uns davon ab, sie als agierende Personen zu verstehen, die Entscheidungen treffen, moralische Grenzen übertreten und sich schuldig machen – weil sie es so entscheiden, weil sie so handeln oder eben nicht handeln, nicht weil sie manipuliert oder dazu gezwungen werden.
So lässt sich behaupten, dass es unter den Täterinnen klare „Erfolgsmodelle“ hinsichtlich Karriere und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten für Frauen gab. Wie alle Personen, die innerhalb des faschistischen Systems Karriere gemacht haben, haben sie unsägliche Verbrechen begangen. Trotzdem scheinen wir geneigt, diese Verbrechen, wenn sie von Frauen begangen wurden, anders zu bewerten. Wir sind noch schockierter, oder können und wollen uns das nicht vorstellen. Verfallen wir selbst in alte Rollenbilder, wenn wir Frauen betrachten, die Verbrechen begangen haben? Würden wir die Täterinnen genauso betrachten, wenn sie Männer gewes
Sandra Franz ist Historikerin und Jiddistin. Sie leitet die NS-Dokumentationsstätte der Stadt Krefeld in der Villa Merländer in Krefeld.
villamerlaender.de
Dieser Text wurde ursprünglich für eine Tagung zum Thema Familienforschung und Genderrollen im Nationalsozialismus als Vortrag gestaltet und für eine Veranstaltung des Projekts Damals? im Herbst 2023 in Scharnstein adaptiert.
Sandra Franz wird im Zeitraum 11.-13. Oktober 2024 im Rahmen des Projekts ‘Damals?’ im Salzkammergut mit uns und Ihnen/dir arbeiten. Genaue Termine und Infos folgen.