Zeitgeschichte, Verantwortung und „Wir“
Unsere Hypothese:
Es fehlt eine breite gesellschaftliche Kultur, sich mit dem Thema, den Spannungen, das es hervorruft und der eigenen Verwobenheit darin zu beschäftigen.
Dazu hat „Damals?“ als Projekt der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 Grundlagenarbeit betrieben, verschiedene Formate und Methoden erprobt, Rundgänge und Workshop-Programme entwickelt und ein Publikum dafür aufgebaut. Dabei wurden Beziehungen zu Menschen in der Region geknüpft, die der Verein Geschichte(n) für alle nun weiterführt um so eine Verstetigung des zivilgesellschaftlichen Engagements in der regionalen Erinnerungsarbeit zu etablieren.
Die jahrzehntelange Schweige- und Verdrängungsmentalität in Bezug auf den Nationalsozialismus hat große Verwirrung und viele – vor allem – (unbewusste) Gefühlszustände in den Menschen etabliert. Diese sind geprägt von Schuld, Scham und Tabus, äußern sich in Form von Stehsätzen, der Projektion auf Andere, im Referenzieren immergleicher Deutungsmuster, des unreflektierten Hinnehmens von Gegebenheiten und stehen auch in Zusammenhang mit einem starkem Konformitätsdenken unter jungen Menschen.
„Ihr habt recht, ich wollte meinen Vater nur verteidigen“. Diese und andere spontanen Reaktionen von Teilnehmer:innen wie zum Beispiel ein gemeinsames, beredtes Schweigen von 45 Personen vor der Haenel-Pancera-Villa in Bad Ischl, als klar wurde, dass sich verschlossene Geschichten gleichermaßen in Gebäuden wie in der eigenen Biografie finden, zeigen vom unmittelbaren, situativen Erfolg des Projekts.
Dazu gehört auch, dass sich bei öffentlich und frei zugänglichen Veranstaltungen geschützte Räume etablieren haben lassen, in denen Nachfahr:innen von Täter:innen sich im Umgang mit ihren Vorfahren ratlos zeigen konnten, zugleich die Kontinuität antisemitischer Konstruktionen sichtbar wurde und Spannungen zutage traten, die sich auf die Gleichzeitigkeit von Opfer- und Täterschaft in der eigenen Familie bezogen.
Derartig tief vergrabene, schmerzhafte Zustände zeigen sich nicht nur in geführten Gesprächen, sondern auch im öffentlichen Raum: Der Umgang mit Denkmälern spiegelt die Mentalität den „Wegschauens“, „Zudeckens“, „Vermeidens“ wieder und selbst dort, wo zuletzt aktive öffentliche Erinnerungsarbeit in Bezug auf Nationalsozialismus und Holocaust geleistet wurde, zeigen sich Leerstellen und Probleme in Bezug auf Opfer- und Täterschaft, hinsichtlich gesellschaftlicher Dynamiken und des offenen und direkten Ortsbezugs – als Lokalgeschichte mit mangelhaftem lokalen Bezug.
Die Zukunft der Erinnerung
Wie Erinnerung nachhaltig und miteinander gestalten? Wie mit den damit verbundenen Aufgaben und Herausforderungen umgehen?
Diese Fragestellungen sind eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Leitfragen des Projekts DAMALS? und bestimmen einen neuen Ausgangspunkt. Während die Kulturhauptstadt ein solches Projekt überhaupt erst ermöglicht und legitimiert hat, ist es für die Weiterführung entscheidend, für eine Verstetigung des zivilgesellschaftlichen Engagements in der regionalen Erinnerungsarbeit zu sorgen.
Für eine dauerhafte Verankerung und Weiterentwicklung braucht es tragfähige Strukturen und Ressourcen, die es erlauben, an Themen, Menschen und Entwicklungen dranzubleiben, die sich im Rahmen der Kulturhauptstadt aufgetan haben. Dabei stehen nicht zuletzt regionsübergreifende Entwicklungen des Projekts DAMALS? im Fokus, bei der bereits vorhandene und neue Modelle der Geschichts- und Erinnerungsarbeit weiterhin an unterschiedliche Gegebenheiten angepasst werden, bzw. auch untereinander vernetzt werden können.
Anknüpfung an die Kulturvision 2030
“Es bedarf […] keines auf Effekte abzielenden Umgangs mit Geschichte. Kein belangloses Bedenken oder Erinnern, sondern ein kritisches Befragen unserer Vergangenheit, welches auch Analogien zwischen historischen und zeitgenössischen Entwicklungen sichtbar macht, ist notwendig. Erinnerungskultur darf keinem Eventcharakter gleichkommen, primär muss das kollektive Gedächtnis der Menschen vor Ort verändert werden.” Statement Nina Höllinger/ZGM Ebensee, in der kulturvision salzkammergut 2030
Wir sehen die Weiterführung und die Potentiale des Projekts DAMALS? in starkem Einklang mit der Kulturvision 2030.
Für den Erfolg und die Akzeptanz entscheidend ist, die dafür benötigten Ansätze und Methoden weiterhin möglichst partizipativ und offen zu entwickeln. Die Neuorientierung des kollektiven Gedächtnisses entscheidet sich letztlich auf der Ebene von neuen Praxen und der Erfahrung neuer Handlungsmöglichkeiten. Diese müssen jedoch ständig weiterentwickelt werden und sich auf wandelnde Gegebenheiten und gesellschaftliche Bedingungen beziehen können, damit sie für Individuen und gesellschaftliche Gruppen wirksam werden.
Während diese Erkenntnisse sich in internationalen Programm (wie jenen der UNESCO und der Europäischen Kommission) bereits wiederfinden und im Bereich der Demokratiebildung und historisch-politischer Bildung mehr oder minder gesetzt sind, klafft auf der Ebene von zivilgesellschaftlicher Arbeit hier weiterhin eine Lücke. Ziel muss es hier auch sein, auf der institutionellen Ebene von Regionalentwicklung oder kulturellen Genossenschaften eingebunden zu sein.
Team
Konzeption und Administration
Sylvia Ritt
Universitätslehrgang für sozialpädagogische Arbeit und soziokulturelle Animation in offenen Handlungsfeldern, Kunstuniversität Linz – zeitbasierte Medien; ab 2005 mit der Entwicklung und Koordination von Bildungs-, Kunst,- Kultur-, und Medienprojekten für die AK-Salzburg, das Freie Radio Skgt. (FRS), den Verband der Freien Radios in Österreich (VFRÖ) und das Bildungszentrum Skgt. (BIS) betraut.
Mitbegründerin www.medienportal.at Zugangsoffene Online-Plattform
.Wolfgang Schmutz
Bildungsberater, Dozent und Gedenkstättenpädagoge. Spezialisiert auf teilnehmer:innenzentriertes und ortsspezifisches Lernen zu NS und Holocaust, Praxisentwicklung und Public-Memory-Projekte.
Von 2009-2020 Mitarbeiter und Projektleiter an mehreren NS-Gedenkstätten, von 2020-2022 koordinierte er mit Karin Schneider und Paul Salmons das EU-Projekt “MemAct”.
Derzeit berät er u.a. das USHMM sowie die Claims Conference und ist Dozent für Geschichte im Salzburg-Programm der University of Redlands.
Mitarbeit und Beratung
Tamara Imlinger
arbeitet als Autorin, Musikerin, Historikerin und Vermittlerin an Schnittstellen von Kunst, Kulturarbeit, Wissenschaft und Partizipation – z.B. im Kollektiv Salon Limusin, für den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim oder die KUPFzeitung.
https://tamaratrackt.at
Karin Schneider
Zeithistorikerin und Kunstvermittlerin, leitet zur Zeit die Kunstvermittlung der Museen der Stadt Linz (Lentos Kunstmuseum, Nordico Stadtmuseum).
In dieser Funktion kooerdinierte sie mit Wolfgang Schmutz und Paul Salmons das EU geförderte Projekt „MemAct!“.
Sie war und ist in unterschiedlichen kunstbasierten Forschungs- und Vermittlerungsprojekten zu Erinnerungspolitik aktiv wie zB. der Ausstellung „Vielgeschichtig“ im Haus der Geschichte Österreichs (Okt 2023-Feb 2024) mit Alaa Alkurdi, Friedemann Derschmidt und Anne Pritchard-Smith.
Barbara Rankl